Mittwoch, 12. Mai 2010

Mittags, halb eins in Deutschland

Heute ohne Bilder, weil ich noch ein letztes Mal für ein paar Tage nach Deutschland geflogen bin, um meiner Freundin Jenks (die sich gerade für den Abschluss ihres Medizinstudiums in Hongkong mit einer ausgiebigen Europatour belohnt) Berlin und Leipzig nahezubringen und natürlich mein Kartenlesegerät in London vergessen habe. Bilder von mir als Touristin im eigenen Land gibt es dann (versprochen) beim nächsten Post.

Viel Interessantes gibt es auch gar nicht zu berichten, abgesehen vom Wetter (Bild titelte heute "Bibber-Wetter: Der kälteste Mai des Jahrtausends!") hat sich sowohl Berlin als auch Leipzig von der besten Seite gezeigt, die Grand Tour (a) Brandenburger Tor, Humboldt-Uni, Holocaust-Denkmal, Reichstag, Museumsinsel, Unter den Linden bzw. b) Albertina, Bundesverwaltungsgericht, Auerbachs Keller, Völkerschlachtdenkmal) war ein voller Erfolg und auch eine kleine Schuhkaufkrise konnte uns den Spaß nicht verderben. Alles in allem hätte es eine perfekte germanische Arbeits- und Denkpause werden können, wenn nicht...

(tut mir leid, ich muss nochmal ausholen).

Ich glaube ja manchmal, dass ich ein bisschen zu oberflächlich für diese Welt bin (zu viele meiner persönlichen Dramen involvieren Schuhe oder pinke Ponys). (Simone findet das auch.) (Flo auch, aber er ist klug genug, das für sich zu behalten). Anyway. Ich glaube aber auch, dass irgendwo irgendjemand über uns Buch führt, und darum bin ich der Meinung, dass eine einzelne Bahnfahrt in Leipzig meine drohende Wiedergeburt als Mistkäfer um ein paar Monate vertagt hat. Anyway, I digress.

Jenks und ich fuhren also mit der Tram Richtung Innenstadt, als sich zwischen Hauptbahnhof und Augustusplatz folgende Szene abspielte:

Ein junger Mann mit Käppi, Bärtchen, abgetragenen Klamotten und allgemein "alternativer" (hasse das Wort) Ausstrahlung belegt einen kompletten Vierersitz mit Beschlag; eine junge Frau mit Kopftuch bittet ihn, sich setzen zu dürfen. Der Jüngling, welchen ich bis dato für einen Angehörigen der Connewitz-Fraktion gehalten hatte, antwortet langsam und deutlich: "Wenn ich gewollt hätte, dass du dich hierher setzt, dann hätte ich schon Platz gemacht." Die junge Frau äußert irritiert ihr Unverständnis, Typ fühlt sich genötigt, seine Antwort zu erläutern: "Nimm erstmal das Ding ab und geh dahin zurück, wo du hergekommen bist."
Frau: "Was ist denn das für ein Benehmen?"
Typ: "Das ist richtiges deutsches Benehmen."

Zwischenbemerkung: Die Bahn war komplett voll. Kein Sitz war frei (abgesehen von den drei Plätzen, auf denen die Füße und der Rucksack besagten Arschlochs ruhten). Ein paar Leute schütteln den Kopf, sind aber sonst sehr damit beschäftigt, ihre Füße anzustarren. Keiner, niemand, nicht ein einziger fühlt sich genötigt, den Mund aufzumachen. Ich, Herzrasen, schweißnasse Hände, Rauschen in den Ohren, : "Entschuldigung, das will doch hier wohl niemand hören? Wie widerlich ist das denn bitte?" (oder irgendwie sowas in der Art, ich erinnere mich nicht mehr ganz genau, jedenfalls war ich nicht sonderlich eloquent). Worauf sich der Unmut des Fascho-Fahrgastes natürlich auf mich richtete (Einzelheiten erspare ich dem werten Leser lieber).

(An dieser Stelle wird mir gerade klar, dass es so aussieht, als wollte ich für meine Zivilcourage gelobt werden. Möchte klarstellen, dass das nicht so gemeint ist. Ich bin immer noch dermaßen geschockt, dass in einer vollbesetzten Bahn, mitten in Leipzig, am hellichten Tag jemand so offen derartige Sprüche ablassen kann, ohne dass sich IRGENDJEMAND genötigt sieht, etwas dazu zu sagen, dass ich finde, dass mehr Leute darüber Bescheid wissen sollten. Ich hab die Geschichte heute schon viermal erzählt, alleine das Tippen lässt meinen Blutdruck schon wieder steigen).

Bestimmt war das jetzt kein so arg bemerkenswertes Ereignis und sicherlich gehört es auch nicht unbedingt in einen Blog, der sich mit meinen Abenteuern in London befassen sollte (wo sich tagtäglich deutlich schlimmere Situationen abspielen, in die ich mich nicht einmische), und besonders lustig oder gut formuliert ist dieser Eintrag auch nicht, aber (und das ist ein großes Aber) es ist mein Blog und ihr könnt absolut nichts dagegen machen, dass ich hier schreibe, was ich will. Jedenfalls hatte ich heute ein ungewolltes Aha-Erlebnis, und zwar: Feigheit ist wirklich die niedrigste Eigenschaft, die ein Mensch haben kann.

Over and out.

4 Kommentare:

  1. Krass! Und was is dann passiert? Hat er Platz gemacht? Hat er dich verprügelt? Hat die Frau noch was gesagt?

    LG Ariane

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  2. Muss dich an dieser Stelle trotzdem mal loben. Finde ich sehr mutig von dir! Würd mich aber auch mal interessieren, wie er reagiert hat!

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  3. Die Frau ist weiter nach hinten durchgegangen; der Typ hat zu mir gesagt, ich sollte mich um meinen eigenen Scheiß kümmern, hätte keine richtige deutsche Einstellung und bräuchte überdies nicht mit dem Kopf zu schütteln. Das ganze gewürzt mit ein paar deftigen Ausdrücken für das weibliche Geschlecht, die ich lieber nicht wiederhole.

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  4. Ich kenn so was, wenn man sich so über so ne kranken Leute ausregt und man hat das Gefühl total machtlos zu sein, weil man ja auch einfach nichts tun kann. Dann will ich immer Kickboxen lernen, damit ich so ne Leute beispielweise in diesem Fall von sitz zerren und aus der Bahn werfen kann und ihm im Falle dass sie sich wehren die Nase oder den Arm brechen kann. Irgendwann mach ich das auch noch mal... und so lange tröste ich mich mit brutale Gewaltfantasien.
    Jetzt habe ich grad noch die Idee, dass er sich bestimmt total geärgert hätte, wenn du dich bei der Frau für ihn entschuldigt hättest un gesagt hättest, dass seine Eltern bestimmt Geschwister sind und er nen ganz kleinen Penis hat und deswegen gefrustet ist, aber dann hättest du vllt wirklich noch aufs Maul gekriegt.
    Auf jeden Fall aber Lob, gut gemacht. Er hat sich bestimmt auch über dich geärgert und das ist doch auch schon ein Erfolg

    Sandra (Ich konnte hier irgendwie nicht kommentieren, deswegen aranhas Konto)

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